Biologische EVOLUTION

 

Identische Reduplikation (Vermehrung)

 

Mehrere Sternen-Generationen hatten die heute bekannten Elemente hervorgebracht, die sich im Verlauf der chemischen Evolution auf der Erde zu Makromolekülen zusammenfügten (siehe "Kosmologie").

 

Diese Makromoleküle schwammen in der "Ursuppe" der Erd-Atmosphäre, bis vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren zwei Moleküle zusammenstießen, die sich so gut ergänzten, dass sie den initialen Funken zur biologischen Evolution zündeten: Nukleinsäure und Protein. Nukleinsäuren sind Zuckermoleküle, die optimale Speichereigenschaften aufweisen, und Proteine sind Fette, die sich besonders gut als Bausteine für Organismen eignen.

 

"Leben ist Information", so formulierte es Manfred Eigen. Eine chemische Art der Informationsübertragung, bei der die Gene dem Organismus "mitteilen", welche Moleküle er verwenden muss, um bestimmte Merkmale hervorzubringen (z.B. blaue Augen, grüne Blätter oder ein cholerisches Gemüt). Aus informationstheoretischer Sicht bestand der Anfang alles Lebendigen in einem Regelkreis der Prinzipien Mutation und Selektion. Die unabhängig voneinander entstandenen Nukleinsäuren und Proteine verursachten bei ihrem Zusammentreffen Rückkopplungskreisläufe mit wechselseitiger Informationsübertragung. Durch diese Wechselbeziehungen konnten sie sich selbst reproduzieren, indem sie erfolgreiche Informationen positiv verstärkten.

 

Die Nukleinsäure RNA hat die Eigenschaft, ihre Bestandteile auf bestimmte Aminosäuren zu übertragen. Informationstheoretisch gesehen übersetzt sie die Information, die in der Reihenfolge ihrer Bestandteile liegt, in eine analoge Reihe bestimmter Aminosäuren, aus denen Proteine mit entsprechenden Eigenschaften gebildet werden. Diese Proteine sind wiederum in der Lage, RNA-Ketten zu synthetisieren, wodurch es zu Wirkungszyklen zwischen RNA und Proteinen kommt. Das verläuft so, dass z.B. die RNA1 ein Protein1 erzeugt, dieses eine RNA2, welche das Protein2 synthetisiert, wodurch wieder die RNA3 entsteht usw., bis ein Protein wieder die ursprüngliche RNA1 herstellt.

 

Damit ist ein funktioneller Regelkreis entstanden, welcher eine Information, die durch Zufallsmutation in der RNA auftaucht, auf Proteinstrukturen überträgt, die ihrerseits dann wieder die RNA reproduzieren, wenn die Proteine in ihrem Milieu bestehen konnten. Auf diese Weise setzen sich nur jene Kernsäuren durch, deren Proteine alle Bedingungen erfüllen, die sie in ihrem Milieu überleben lassen. Das bedeutet, dass von Anfang an in der RNA (später DNA) keine beliebigen Informationen entstanden, sondern exakt jene, die bestimmte Eigenschaften der Umwelt abbildeten (Kaspar). Beispiel: Die Fischflosse repräsentiert Strömungseigenschaften des Wassers.

 

Lebende Moleküle besitzen einen Stoffwechsel, der die Energie für alle Wachstumsprozesse liefert. Bestimmte Proteine sind in der Lage, chemische Reaktionen in Gang zu setzen, indem sich ihre Moleküle an ein Substrat anlagern und dort einen elektronischen Zusammenschluss in den Hüllen der beteiligten Atome verursachen. Diese Katalysator-Funktion wird in lebenden Organismen benötigt, um der Reaktionsträgheit chemischer Vorgänge entgegenzuwirken. Einige chemische Prozesse in lebenden Organismen müssen nämlich millionenfach schneller ablaufen, als sie das in anorganischem Zustand tun.

 

Proteine mit diesen Katalysator-Eigenschaften nennt man Enzyme. Nach Jahrmillionen der Auslese (Selektion) bewirken sie eine gleichmäßige Abfolge der chemischen Prozesse in einer bestimmten Reihenfolge. Sie gewährleisten auch eine vorübergehende Konstanz des Organismus, damit nicht alle Stoffe ununterbrochen miteinander reagieren und dadurch ein Chaos verursachen (Ditfurth).

 

In der Natur werden zwanzig Aminosäuren als Bausteine für Proteine benutzt, deren Sequenz (Reihenfolge) in einem Protein-Enzym darüber entscheidet, welche chemische Reaktion es an einem Organismus auslöst. Damit ist die spezifische Wirkung eines Enzyms in der zufälligen Anordnung seiner Aminosäuren chiffriert.

 

Aminosäuren sind Kettenmoleküle. Manchmal sind sie nicht längs aneinandergereiht, sondern quer aufgefädelt, so dass ihre Enden rundherum abstehen wie bei einer Flaschenbürste. Auf diese Weise bilden sie eine Enzymkette, die sich durch die unterschiedlichen Ladungen der Aminosäuren zu einem Knäuel zusammenringelt. Dabei gelangen bestimmte Aminosäuren aneinander, die sich sonst nicht berührt hätten. Ihre zufällige Anordnung bestimmt die besondere Eigenschaft des Enzymmoleküls.

 

Neben Proteinen wird auch Zucker (RNA) zum Aufbau der Organismen verwendet, um die Vererbung verschiedener Merkmale zu ermöglichen. Doch nicht nur in der Natur, auch in experimentellen Laborversuchen entsteht schon bei milden chemischen Reaktionen stets Ribose, eine Zuckerart, wenn die Stoffe der "Ursuppe" im Reagenzglas aufeinander treffen. Daneben bilden sich die Stickstoffbasen Uracil, Cytosin, Guanin und Adenin. Unter Energiezufuhr verbindet sich der Zucker mit den vier Basen, wobei auch ein Phosphorsäurerest mit eingebaut wird.

 

Wenn sich diese Moleküle zu langen Ketten verknüpfen, entsteht die Doppel-Helix eines Nukleinsäurefadens, der die Codierung aller Erbeigenschaften sämtlicher Lebewesen erlaubt. Da die Entstehung solcher komplexen Verbindungen experimentell im Labor simuliert werden kann, ist die Annahme zulässig, dass es sich unter den Bedingungen der Ur-Erde ebenso abgespielt hat.

 

Bedingt durch den Rückkopplungskreislauf der gegenseitigen Informationsübertragung entspricht jeder Aminosäurensequenz der Enzyme ein Nukleinsäurefaden mit der gleichen Reihenfolge seiner Basen. Bei der Proteinsynthese (Körperaufbau des Organismus) durch die Erbinformation der Nukleinsäuren codieren jeweils drei Basen (ein Triplett) eine der zwanzig Aminosäuren.

 

Die Kombination von vier Basen zu Dreier-Sequenzen ergibt 64 Möglichkeiten der Codierung (zum Vergleich: unser Alphabet enthält nur 26 Buchstaben). Davon werden aber nur zwanzig für die Aminosäuren benötigt; die übrigen 44 dienen dazu, bestimmte Aminosäuren doppelt oder dreifach zu codieren bzw. den Anfang und das Ende einer Produktionsanweisung anzuzeigen (Ditfurth nennt das Interpunktion).

 

Bei der identischen Reduplikation der Nukleinsäuren (Vermehrung) wird jeweils ein Abdruck von der DNA genommen, nachdem die schwachen Wasserstoffbrücken-Bindungen zwischen den beiden Strängen der Doppel-Helix aufgelöst wurden. Nach der Teilung lagern sich sofort neue Nukleotide an die Basen der nun entstandenen Einzelketten an, die wieder durch Wasserstoffbrücken gebunden werden. Dabei kann an jede Base nur eine komplementäre Base gebunden werden, so dass ein identischer DNA-Faden entsteht.

 

Auch die für die Proteinsynthese erforderliche Transkription (Kopie) erfolgt auf diese Weise, indem sich eine messenger-RNA, die nur aus einer einfachen Nukleotidkette besteht, an einen Einzelstrang der DNA anlagert, wobei die Erbinformation auf den RNA-Strang übertragen wird. Allerdings „kopiert“ eine RNA immer nur bestimmte sinnvolle Abschnitte der DNA, die sie dann zu den Ribosomen transportiert, wo die Proteinsynthese stattfindet. Eine transfer-RNA übernimmt inzwischen den Antransport der als Bausteine benötigten Aminosäuren. Dies geschieht durch die „Passung“ ihres Basen-Tripletts mit der Sequenz der benötigten Aminosäuren, so dass nur die jeweils „richtige“ Aminosäure angelagert werden kann.

 

Im Ribosom wird eine Proteinkette aufgebaut, indem jeweils eine transfer-RNA ihre Aminosäuren an die passende messenger-RNA heftet, wodurch der Strang sinnvoll verlängert wird. Diese Vorgänge werden so lange wiederholt, bis das Protein fertiggestellt ist (Botsch). Wenn das aufgebaute Enzym z.B. hundert Glieder lang ist, ergeben sich vier hoch drei hoch zwanzig hoch hundert Möglichkeiten, und damit eine astronomisch hohe Variationsbreite zur Chiffrierung der äußeren Erscheinungen und der inneren Merkmale sämtlicher Lebensformen und Arten, die es auf der Erde je gab und geben wird (Ditfurth).

 

Konkurrenz und Kannibalismus

 

Charakteristisch für den Evolutionsprozess ist eine stete Zunahme von Ordnung. Im Gegensatz zu früheren Vorstellungen der Thermodynamik, die annahm, dass im Kosmos nur Unordnung entstehen könne (Entropie), ist gerade die Anagenese (Entstehung von selbst) eine physikalische Notwendigkeit (Kaspar).

 

Faktisch sind in einem Milieu von thermodynamischem Ungleichgewicht auf der Erde spontan geordnete Strukturen entstanden, die mit Wasserturbulenzen begannen, sich über die anorganische und organische Chemie fortsetzten und schließlich alle Gebiete natürlicher Systeme (Organismen) umfassten. Evolution findet in offenen Systemen statt, die sich nicht im thermodynamischen Gleichgewicht befinden.

 

Lebende Organismen müssen sich einerseits von der Umwelt absondern, um ihre funktionelle Ordnung gegenüber dem Chaos zu bewahren. Da sie aber als offene Systeme in energetischem Austausch mit ihrer Umwelt stehen, besteht für die Zellen andererseits die Notwendigkeit der Öffnung zur Umwelt, damit eine gezielte Nahrungsaufnahme ermöglicht wird und der Energieaustausch nicht chaotisch verläuft, sondern eine zunehmende Ordnung zulässt.

 

Die Lösung des Problems bestand damals in der Entwicklung von semipermeablen (halbdurchlässigen) Membranen als selektive Verbindungen zur Außenwelt. Sie wählten die eintreffenden Moleküle nach ihrer Verwendbarkeit aus. Experimente zeigen, dass die Entstehung derartiger Membranen unter geeigneten Bedingungen ganz spontan erfolgt, allein aufgrund bestimmter Eigenschaften der Materie.

 

Die Kugel scheint eine ideale natürliche Form zu sein. Überall, wo sich aus Lösungen bewegliche Substanzen abscheiden, ähneln sie Kugeln. Irgendwann im Laufe der Jahrmillionen legte sich eine erste Lipid-Membran wie eine Haut um ein DNA-Protein-Aggregat, wodurch dieses einen Selektionsvorteil erhielt und zum Ausgangspunkt für die Entstehung aller Zellen wurde.

 

In den Ur-Ozeanen lagerten sich durch UV-Einstrahlung bestimmte Moleküle aneinander, bis sie die Größe winziger Tropfen erreichten. Diese Molekülschwärme waren in der Lage, organisches Material aus ihrer Umgebung aufzunehmen und zu verdauen, d.h. die nicht mehr bindungsfähigen Restmoleküle abzustoßen. Dabei durchdrangen die Nahrungsstoffe ihre Haut und wurden im Inneren entweder angelagert, dann wuchs das Gebilde, oder sie wurden chemisch verändert, dann entstand ein Stoffwechsel.

 

Der Kompromiss, nur ein Minimum an Außenweltfaktoren zuzulassen, bildete eine durchgehende Maxime für die Evolution, was sich später bei der Entwicklung von Wahrnehmungsorganen zunächst nachteilig auswirkte. Wir können ja heute nur ein Minimum an Umwelteigenschaften zu erkennen, z.B. nur einen Teil des Farbspektrums oder der Schallwellen. Für die Akzeptanz anderer Wellenbereiche benötigen wir technische Apparate. Wie groß die Welt hinter unserem Wahrnehmungshorizont wirklich ist, können wir nicht einmal ahnen, da die Wahrnehmungsorgane ursprünglich nicht zur Erkenntnis, sondern zum Überleben eingerichtet wurden.

 

Die ersten lebendigen Zellen entwickelten sich zu kompliziert zusammengesetzten Organismen mit eigenen Organellen und einem Zellkern, in dem die Nukleinsäuren zu Genen und diese wieder zu Chromosomen zusammengebündelt waren. Diese einzelligen Lebewesen besaßen Geißeln, die der Fortbewegung im Wasser dienten, teilweise auch Chloroplasten, die in der Lage waren, Energie durch Fotosynthese zu gewinnen.

 

Ihre Entstehung (Genese) wird folgendermaßen beschrieben: Die ersten kernlosen Ur-Zellen schwammen mit ihren Flimmerhärchen in den Ozeanen der jungen Erde und „fraßen“ die ebenfalls dort schwimmenden organischen Moleküle und Polymere, deren Zahl sich dadurch verringerte. Da die abiotische Genese dieser Ursuppe jedoch äußerst langwierig war, entstand ein akuter Nahrungsmangel und bedrohte das gerade entstandene Leben. In dieser Situation sahen sich die Zellen, die zufällig Porphyrin-Moleküle enthielten, plötzlich im Vorteil, denn Porphyrin ist in der Lage, Licht im sichtbaren Spektrum zu absorbieren und seine Energie in sich aufzunehmen.

 

Durch die neue Technik der Fotosynthese befreiten sich die porphyrinhaltigen Zellen allmählich von der Ernährung mit organischem Material. Da sie nun den Erfordernissen der Umwelt besser angepasst waren als ihre Konkurrenten, vermehrten sie sich überproportional, während die Zahl der „Molekül-Fresser“ abnahm.

 

Einige Arten von Fresser-Zellen begannen jetzt aber ihrerseits, neben Makromolekülen auch Fotosynthese betreibende Bakterien und Blaualgen zu fressen, um zu überleben. Das heißt, sie nahmen die Beute durch ihre Membran auf, verstauten sie in ihrem Plasma-Leib und lösten sie dann auf, um ihre Moleküle für den eigenen Stoffwechsel zu benutzen. Kannibalismus scheint ein typisches Kennzeichen des Phänomens Leben seit jeher zu sein (Boschke).

 

Manchmal wurde die Beute jedoch nicht aufgelöst, möglicherweise durch den Mangel an einem bestimmten Enzym, und der erbeutete Organismus blieb am Leben. Er fuhr fort, Sonnenlicht in chemische Energie umzuwandeln und ernährte dadurch seinen Wirt. Auf diese Weise entstanden die ersten Pflanzenzellen mit ihren Chloroplasten.

 

Die räuberischen Zellen, die dazu übergegangen waren, lebende organische Substanz zu ihrer Nahrung zu machen, wurden die Vorfahren der Tiere und damit auch unsere Urahnen. Da sich die Nahrung durch Flimmerhärchen fortbewegte, waren auch sie gezwungen, Fortbewegungsinstrumente in Form von Geißeln zu entwickeln.

 

Beim „Kampf ums Dasein“ gerieten die Arten oft untereinander in Futterkonkurrenz. Sie kompensierten diesen Selektionsdruck u.a. durch Spezialisierung auf ungenutzte Nahrungsquellen.

 

Durch das Konkurrenzprinzip können in der Biologie auch echte Symbiosen entstehen, wie z.B. die Darmflora der Menschen. Sie besteht aus Bakterien, die das lebenswichtige Vitamin B 12 produzieren, das unser Organismus nicht selbst synthetisieren kann. Die Bakterien haben die erstaunliche Fähigkeit entwickelt, die spezielle Gewebeart im Körper zu "erkennen", die sie als Nahrungsquelle benötigen, um sich dort anzusiedeln. Dabei handelt es sich um eine chemische Art der Erkenntnis.

 

In den Ur-Ozeanen überlebten die Nahrungskrise jedenfalls nur die Fotosynthese betreibenden blau-grünen Algen, ferner jene Zellen, die sich Algen oder Bakterien als Chloroplasten einverleibt hatten, und schließlich die porphyrinlosen Zellen, die sich von anderen lebenden Zellen ernährten. Alle anderen existierenden biologischen Konstruktionen sind nach Meinung der Evolutionstheoretiker an Nahrungsmangel zugrunde gegangen.

 

Nach den Gesetzen von Mutation und Selektion überlebten und vermehrten sich dann jene Zellen bevorzugt, die zufällig am fähigsten waren, Zucker und Eiweiß zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels auf einer molekularen Ebene zu erkennen.

 

Die Fähigkeiten zum Erkennen, zur Unterscheidung und zur kritischen Auswahl sind ursprünglich biologische Funktionen und zu einer Zeit entstanden, als von einer Psyche noch keine Rede sein konnte. Sie bilden jedoch die Grundlagen zu unseren entsprechenden Denk-Kategorien. Aus genetischer Perspektive liegen unsere Erkenntnisformen vor jeder individuellen Erfahrung schon fest (Kant nennt das "Apriori"), sie sind jedoch ein Produkt der kollektiven Erfahrung (Lorenz nennt das "Aposteriori").

 

Die Pflanzenzellen verbrauchten für ihre Fotosynthese Stickstoff. Als Abfallprodukt erzeugten sie Sauerstoff, so dass sich die Atmosphäre langsam mit Sauerstoff anreicherte und die übrigen Lebewesen in eine neue Krise stürzte: Die Oxydationseigenschaft es Sauerstoffs machte ihn zum giftigen Gas. Nun waren jene Bakterienarten im Vorteil, die zufällig durch bestimmte Enzyme eine Sauerstoffresistenz entwickelt hatten. Sie überlebten die Krise, vermehrten sich überproportional und gingen bald dazu über, die hohe chemische Aktivität des Sauerstoffs für den Energiebedarf des eigenen Stoffwechsels zu benutzen.

 

Diese ersten Sauerstoffatmer wurden ebenfalls von den Molekül-Fressern einverleibt, aber zum Teil nicht verdaut, so dass, ähnlich wie bei der Genese der Chloroplasten, nun die Mitochondrien als Symbionten entstanden. Das sind spezialisierte Bakterien, die bis heute als Organellen die Atmung innerhalb der Zellen besorgen.

 

Mutation und Selektion

 

Folgende Fragen drängen sich auf: Wie kam es, dass in dem Moment, in dem Sauerstoffatmung gefordert war, einige Zellen existierten, die durch ihre Enzymanordnung dazu befähigt waren? Oder warum konnten einige Zellen plötzlich Fotosynthese betreibende Bakterien fressen, als diese Eigenschaft für ihr Überleben erforderlich war?

 

Die Antwort der Evolutionstheoretiker lautet: Durch Mutationen. Das sind Fehler beim Kopieren der DNA während ihrer identischen Reduplikation, die durch radioaktive oder kosmische Strahlung verursacht werden und in kleinen Prozentsätzen auftreten. Sie ändern den Sinn der Botschaft willkürlich und geringfügig ab.

 

Bestimmte Eigenschaften ändern sich also manchmal bei der Vermehrung. Dadurch ist das Leben optimal auf unvorhergesehene Umweltveränderungen vorbereitet: Sowie eine drastische Änderung der Umweltbedingungen eintritt, existieren immer schon einige Organismen, die durch spezielle Merkmale gerade auf diese Konstellation eingestellt sind und deshalb das Überleben ihrer Art sichern.

 

Da diese Merkmale jedoch nicht auf die DNA zurück wirken können, wird der Erfolg zum Lehrmeister des genetischen Systems, wodurch es zunehmend umfangreichere Informationen über die Eigenschaften der Umwelt gewinnt.

 

Ob eine zufällige Mutation für das Überleben vorteilhaft ist, wird allein durch die Umwelt entschieden, indem sie diese Mutanten überleben und durch Fortpflanzung das neue Prinzip weitergeben lässt, während die nicht mehr angepassten Organismen aussterben (Kaspar).

 

Die Zahl der Mutationen, also der zufälligen Bereitstellung neuer Eigenschaften, unter denen die „richtige“ durch Selektion an der Umwelt ausgewählt wurde, muss im Verlauf der Evolution unvorstellbar groß gewesen sein. Diese Wesen wurden prinzipiell geopfert, um die allgemeine Entwicklung voranzutreiben. Die Natur hat hier einen Sicherheitsfaktor eingebaut, um unvorhersehbare Umweltereignisse nicht zur Vernichtung des Lebens führen zu lassen. Individuen scheinen unbedeutend zu sein.

 

Diese Weiterentwicklung der Art wird durch Mutation und Selektion gesichert, indem die Umwelt eine Auswahl unter den angebotenen mutativen Varianten trifft. Ein solches Verhalten kann als intelligent bezeichnet werden, als eine Vernunft ohne Gehirn. Intelligenz, Phantasie, Gedächtnis und Kreativität sind offensichtlich älter als alle Gehirne. In der Natur wirken kreative Potenzen, die unsere eigenen im höchsten Maß übersteigen.

 

Die Evolution hat durch dosierten Zufall ein Anpassungsinstrument hervorgebracht, mit dem sie auf alle Erfordernisse der Umwelt elastisch reagieren kann. Sie arbeitet gezielt mit dem Fehler als Überlebensfaktor, der wie alle anderen Prinzipien schon kurz nach dem Urknall in der Wirkungsweise der Kohlenstoffatome als Möglichkeit angelegt war. Bei der Betrachtung von großen Mengen verwandelt sich der Zufall stets in statistische Regelmäßigkeit.

 

In diesem Zusammenhang erscheint der Zufall plötzlich als ein methodisches Instrument zur Erzeugung von Ordnung im Chaos. Möglicherweise ist sogar das Chaos selbst eine Ordnung, die wir nur in ihrer Kompliziertheit nicht erkennen können, weil unser Gehirn noch nicht strukturiert genug ist. Doch ist eine Zunahme der Komplexität aus dem Chaos durch ungerichtete Mutationen möglich und findet immer noch vor unseren Augen statt.

 

Die Evolution kann daher als teleologisch (zielgerichtet) angesehen werden. Hinter aller Natürlichkeit der chemischen Abläufe scheint eine Intelligenz zu wirken, die eine Absicht erkennen lässt. Die Absicht nämlich, Leben nicht nur hervorzubringen, sondern auch konsequent weiterzuentwickeln.

 

Das vorläufige Ziel dieser Entwicklung ist, wie wir heute wissen, ein selbstreflexives, denkendes Bewusstsein. Ein endgültiges Ziel kann nur im Rahmen einer vernünftigen spekulativen Extrapolation ermittelt werden. Bei einer weiteren Zunahme der Komplexität müsste irgendwann eine göttliche Vollkommenheit erreicht werden.

 

Der Tod als Prinzip des Lebens

 

Die Umwelt brachte eine biologische Vielfalt hervor, in der sie sich selbst widerspiegelt. Sie wurde aber auch zunehmend von diesem Leben geprägt (siehe Sauerstoffatmosphäre). Es entstand ein wechselseitiger Effekt der Selbstverstärkung, der zu einer explosionsartigen Ausbreitung des Lebens auf der Erde führte.

 

Vor viereinhalb Milliarden Jahren hatte in den Ur-Ozeanen der Erde die chemische Evolution eingesetzt. Die ersten kernlosen Zellen waren vor rund dreieinhalb Milliarden Jahren entstanden. Die Evolution höherer, mehrzelliger Lebewesen (Metazoa) begann aber erst vor sechshundert Millionen Jahren, also fast drei Milliarden Jahre später. Die Hervorbringung des einzelligen Lebens dauerte also vier- bis fünfmal so lange wie die Entwicklung von den ersten Mehrzellern bis zu uns Menschen.

 

Auch für die Kernteilung und den Übergang von kernlosen zu kernhaltigen Zellen, für die Entwicklung der Fotosynthese und für die Genese der Sauerstoffatmung werden jeweils eine Milliarde Jahre veranschlagt. Der genetische Fortschritt scheint sich zunehmend zu beschleunigen.

 

Der Zusammenschluss unterschiedlich spezialisierter Urzellen zeugt von dem durchgängigen Prinzip, dass durch die Fusion einfacherer Organisationen zu immer höheren Ordnungen jeweils eine Komplexität erreicht wird, die ein neues Phänomen auf höherer Entwicklungsstufe entstehen lässt. Schon Aristoteles hatte entdeckt, dass das Ganze stets mehr ist als die Summe seiner Teile. So strebten auch die kompliziert aufgebauten Einzeller nach Zusammenschlüssen zu völlig neuartigen mehrzelligen Lebewesen, die eine enorme Bereicherung an Möglichkeiten für das Leben bedeuteten.

 

Lorenz nennt das Fulguration. Das sind Sprünge in der evolutionären Entwicklung, die zu neuen, nie da gewesenen Phänomenen führten. In diesem Fall trennten sich einige Zellen nach der Teilung nicht vollständig voneinander, sondern blieben aneinander haften und erlernten die Vorteile der Arbeitsteilung. Die ersten Zellkolonien konnten sich bereits gemeinsam durch das Wasser bewegen, ihre komplexeren Nachkommen entwickelten allmählich verschiedene Arbeitsbereiche als Vorstufen zu den späteren Organen.

 

Die Arbeitsteilung der Organismen wurde durch eine Differenzierung der Zellen ermöglicht, die jeweils unterschiedliche Abschnitte ihres DNA-Fadens "lesen" und für die Proteinsynthese benutzen konnten. Obwohl auch heute noch in jeder Körperzelle die gesamte genetische Information enthalten ist, haben sich einzelne Zellen auf die Übernahme bestimmter Arbeitsanweisungen spezialisiert und bilden somit die Organe.

 

Durch die Entwicklung zur Mehrzelligkeit wurde ein immer größerer Anteil von Zellen im Inneren des Organismus von der Außenwelt abgeschnitten. Das erforderte komplizierte Regelmechanismen zur Aufrechterhaltung ihrer Funktionen, da nun als Außenwelt für diese Zellen nicht mehr der unendliche Ozean zur Verfügung stand, sondern nur der schmale Flüssigkeitsspalt, der sie von den Nachbarzellen trennte.

 

Die Zusammensetzung dieses Milieus ist jedoch bis heute konstant geblieben. Die extrazelluläre Flüssigkeit unseres Körpers entspricht noch immer genau der Zusammensetzung des Meerwassers. Um dieses innere Gleichgewicht zu erhalten, waren spezialisierte Organe erforderlich, die von der Evolution unter dem Anpassungsdruck im Laufe von Jahrmillionen hervorgebracht wurden.

 

Die Fortbewegung der Metazoen erfolgte durch Geißelbewegungen stets in einer Körperrichtung, so dass die vorderen Zellen etwas kleiner gerieten. Dafür waren sie in der Lage, sich zu typischen Augenflecken zu formieren, deren Lichtempfindlichkeit ausgeprägter war als die der hinteren Zellen. Das ermöglichte dem Organismus eine positiv phototaktische Reaktion, d.h. die Tendenz, aus dem Dunklen ins Helle zu schwimmen. Sie gewährleistete, dass die von der Fotosynthese lebenden Zellen immer dorthin gelangten, wo das Sonnenlicht am intensivsten war.

 

Durch eine Einstülpung der Oberfläche entstand in den Zellkugeln eine Öffnung, der Ur-Mund. Er diente allerdings vorerst auch der Ausstoßung von abgebauten Resten. Die äußeren Geißeln dienten der Mobilität, die inneren hielten den Flüssigkeitsstrom aufrecht, der die innen liegenden Zellen mit dem Meer verband.

 

Zur Koordination der Bewegungsabläufe und Konstanterhaltung des inneren Milieus entwickelte sich ein System der humoralen Steuerung. Es waren zunächst flüssige Überträgermechanismen, welche an bestimmten Stellen ganz spezielle Effekte auslösten, die ihren Funktionen entsprachen. Die natürliche Selektion sorgte wieder dafür, dass sie sich zur sinnvollen Zusammenarbeit weiterentwickeln konnten.

 

Zuerst waren es Stoffwechsel-Endprodukte, die von den Zellen in den extrazellulären Raum ausgeschieden wurden und dort den Nachbarzellen bestimmte Informationen über die jeweilige Zellaktivität zukommen ließen, wodurch eine Abstimmung der Aktivitäten erfolgen konnte, wie z.B. die Synchronisation der Geißelbewegungen.

 

Später wuchsen entlang des Weges der humoralen Reize die ersten Nervenleitungen, die dem Bedürfnis nach einer schnellen und gezielten Signalwirkung durch elektrische Impulse nachkamen. An dieser Stelle ist die Entstehung des Gehirns anzusiedeln. Allerdings gestaltete sich die nervöse Verbindung nicht lückenlos. Zwischen den Nervenzellen existieren noch heute winzige Spalte, die das Überleiten elektrischer Impulse verhindern.

 

Die Weiterleitung kann nur durch Überträgersubstanzen erfolgen, die dadurch auch über eine eventuelle Blockade entscheiden. Daraus entwickelte sich das heutige Hormonsystem. Die Evolution hat sich hier so verhalten wie ein Konstrukteur, der versucht, zwei grundverschiedene Systeme miteinander zu verbinden (Ditfurth).

 

Die Synchronisation der Geißelaktivität erforderte aber eine gezielte statt einer diffusen Übermittlung von Informationen und forcierte damit die Entwicklung von zentral gesteuerten Nervenzellen. Das Nervensystem hatte ursprünglich nichts mit psychischen Vorgängen zu tun. Es bildete nur ein potentes Signalsystem, das für das Überleben der Organismen vorteilhaft war und dem wachsenden Konkurrenzdruck entsprach.

 

Die Ausbildung der Nervensysteme führte zu dem Vorteil, auf aktuelle Informationen sehr schnell reagieren zu können, während es auf der Stufe der genetischen Entwicklung sehr lange gedauert hatte, einen neuen Lerninhalt zu übernehmen.

 

Die ersten primitiven Nervensysteme entwickelten sich nach den regelkreisartigen Ordnungsmustern der Selbstorganisation. Ihre nervösen Netzwerke bestanden aus einzelnen Nervenzellen mit ihren verbindenden Fortsätzen, die vorerst noch gleichgeschaltet waren. Später entstand eine Hierarchie aufgrund eines Strickleitersystems von symmetrisch angeordneten Schaltelementen.

 

Das Prinzip war, Zustände und Veränderungen der Umgebung an den Organismus zu vermitteln und in ein angepasstes Verhalten umzusetzen. In einfachster Form geschah das durch zwei verschiedene Nervenzellen, eine für die Input-Information und eine für die Output-Instruktion.

 

Dazwischen wurden später andere Nervenzellen geschaltet, die einen gewissen Einfluss auf den Input und Output ausübten und sich im Laufe der Zeit zu Nervenzellanhäufungen (Ganglien) formierten. Deren Zusammenschluss zu einem zentralen Nervensystem (ZNS) gewährleistete dann bei den höheren Tieren eine effiziente Koordination der lebenswichtigen Funktionen durch eine zentrale Steuerung (Seitelberger).

 

Die Fortpflanzung der Zellkolonien erfolgte nicht mehr durch Teilung aller Zellen, sondern dazu waren nur noch die Zellen im Hinterleib in der Lage. Diese teilten sich und brachten mehrere Zellkolonien hervor, die dadurch ins Freie gelangten, dass die Mutterkolonie platzte und zugrunde ging. Alle nicht fortpflanzungsfähigen Zellen wurden dadurch zu Körperzellen degradiert und sahen sich mit dem Tod konfrontiert, da sie isoliert nicht mehr zum Überleben fähig waren.

 

Durch die Spezialisierung weniger Zellen auf die Vermehrung trat zum ersten Mal der Tod als notwendiges Prinzip für alle übrigen auf. Bisher war das Sterben nur durch Gefressenwerden aufgetreten. Durch die Arbeitsteilung der Metazoen wurde er nun als Prinzip für alles Leben in die Organisation mit aufgenommen. Ein Zeichen für die Wertlosigkeit individuellen Lebens, sofern es nicht für die Weiterentwicklung relevant ist.

 

Die Notwendigkeit eines Stoffwechsels implizierte für alle Organismen den Zwang, Makromoleküle oder ganze Lebewesen zu fressen. Durch den Abbau dieser Moleküle entstand Energie, die für den eigenen Bedarf benötigt wurde, um sich zu höheren Lebensformen weiter zu entwickeln.

 

Das Prinzip der Energiegewinnung auf der Basis des Kannibalismus erscheint uns heute brutal, da Tod und Sterben inzwischen von extremen psychischen Empfindungen begleitet sind. Doch ist es müßig, darüber zu spekulieren, ob die Schöpfungsintelligenz gleichgültig oder vielleicht doch nicht omnipotent (allmächtig) ist. Das freundlichere Prinzip der Energiegewinnung durch Fotosynthese existiert ebenfalls seit vier Milliarden Jahren. Ob wir es eines Tages wieder nutzen werden?

 

Das Prinzip einer Vermehrung durch Teilung hatte die Ur-Zelle prinzipiell unsterblich gemacht. Einzeller alterten und starben nicht aus inneren Ursachen. Sie verdoppelten und vervielfachten sich so kontinuierlich, dass in absehbarer Zeit kein Platz mehr für sie auf der Erde gewesen wäre. Der Tod erwies sich als Ausweg für eine Entwicklung, die auf multiple Bereitstellung von Möglichkeiten und anschließende Fehlerkorrektur baute.

 

Mutation und Selektion brachten das Sterben mit sich, einzelne Organismen besitzen keinen Wert für die Weiterentwicklung der Art. Nur die genetische Information ist wichtig, sie ist potentiell unsterblich. Leider ist mit unseren Gehirnzellen auch der Sitz unserer Identität vom Tod betroffen. Ditfurth spekuliert: Wäre unser Bewusstsein in den unsterblichen Chromosomen lokalisiert, hätten dann unsere Nachkommen die gleiche Identität wie wir?

 

War vielleicht eine Duplizierbarkeit des Bewusstseins vorgesehen und wurde nur "durch Zufall" nicht realisiert, weil die Gehirnzellen selbst nicht mehr fortpflanzungsfähig sind? Der körperlichen Vermehrung kann im biologischen Sinne keine geistige Duplizierbarkeit korrespondieren. Doch findet man evolutive Mechanismen auch in geistigen Bereichen, z.B. im Falsifikationsprinzip der wissenschaftlichen Theorienbildung.

 

Auszug aus dem Wasser

 

Vor etwa 250 Millionen Jahren begannen die reptilischen Vorfahren der Säugetiere, das Land als neue Umweltnische zu betreten. Aus heutiger Sicht verblüfft uns die Tatsache, dass das Leben die Meere verließ und die Landoberfläche besiedelte, obwohl scheinbar kein Umweltdruck diese Entwicklung erzwungen hatte.

 

Im Gegenteil, die anstrengenden und verlustreichen Versuche, das Wasser zu verlassen, machten eine Reihe komplizierter Zusatzleistungen und Einrichtungen erforderlich, die bis dahin überflüssig gewesen waren. Der Grund für diesen Exodus lag möglicherweise in einem zunehmenden Nahrungsmangel aufgrund der enorm ansteigenden Konkurrenz in den Ozeanen.

 

Da ergab sich z.B. das Problem der Gravitation, das vierzig Prozent aller Stoffwechselenergie der Lebewesen erforderte, um das jeweilige Körpergewicht tragen zu können. Dann der Wassermangel: Die Gefahr des Austrocknens brachte das Durstgefühl und die Notwendigkeit, rationelle Ausscheidungsmechanismen zu entwickeln. Das giftige Stoffwechselprodukt Ammoniak konnte z.B. nicht mehr einfach ausgespült werden, sondern musste durch Weiterverarbeitung in ungiftigen Harnstoff umgewandelt werden.

 

Für die Beförderung der Abbauprodukte aus dem Blutkreislauf in die Nieren benötigt ein Mensch heute da. 150 Liter Flüssigkeit. Diese wird jedoch durch den wassersparenden Mechanismus der Konzentration dem Körper immer wieder zurückgeführt, so dass schließlich eine Ausscheidungsmenge von nur ein bis zwei Litern täglich genügt, um die Wasserversorgung aufrecht zu erhalten.

 

Außerdem werden ungeheure Energiemengen benötigt, um die drastischen Temperaturschwankungen auszugleichen, die es im Wasser nicht in diesem Ausmaß gegeben hatte. Die Atmung musste umgestellt werden, indem die vorhandenen Luftbläschen zu Lungen umgeformt wurden. Nicht zuletzt waren an Land auch neue Fortbewegungsorgane erforderlich.

 

Der Auszug aus dem Wasser auf das Festland war also äußerst strapaziös und lässt sich nur mit der gewaltigen Potenz des Lebens erklären, sich auszubreiten und in immer neue Gebiete vorzustoßen. Auch dieses Prinzip muss schon in der Variabilität der ersten Wasserstoff-Atome verankert gewesen sein.

 

Ditfurth vergleicht die Eroberung des Festlandes mit unseren heutigen Versuchen, ins Weltall vorzustoßen, wozu uns ja auch niemand zwingt, und was ebenfalls mit ungeheuren Strapazen, Kosten und Verlusten verbunden ist. Dieses scheinbar irrationale Handeln folgt offensichtlich dem gleichen inneren Drang, der in unserem genetischen Material codiert ist und schon seit Urzeiten den Motor alles Lebendigen darstellt.

 

Für die weitere Zukunft prognostiziert Ditfurth einen Zusammenschluss aller intelligenten Lebewesen des Universums, deren Existenz aufgrund statistischer Berechnungen als wahrscheinlich angenommen werden muss. Im Sinne einer Fulguration werden die Sub-Systeme (z.B. die Menschheit) ein neues Super-System bilden, das als solches völlig neue Eigenschaften aufweisen wird. Das Medium dieses Zusammenschlusses soll der Funkkontakt sein, also Radiowellen (das Thema Telepathie scheint zur Zeit nicht diskussionsfähig zu sein).

 

Ein körperlicher Kontakt ist aufgrund der gigantischen Entfernungen unmöglich. Auch eine noch so fortschrittliche Technik wäre immer an die Gesetze von Raum und Zeit, also die Lichtgeschwindigkeit gebunden. Unter dieser Beschränkung könnten selbst mehrere Menschengenerationen nur einen Bruchteil der Sterne unserer eigenen Galaxis erforschen.

 

Dazu kommen noch die Schwierigkeiten mit den reziprok verlaufenden Funktionen des Raumes und der Zeit. Je mehr sich eine Rakete der Lichtgeschwindigkeit annähert, umso langsamer wird ihre relative Zeit und umso größer ihre Masse. Eine körperliche Expedition zu fremden Territorien scheidet also in unserer vierdimensionalen Welt aus. Das muss aber nicht für geistige Explorationen gelten, denn zumindest in unserer Phantasie können wir uns schon heute über Raum und Zeit hinwegsetzen.

 

Die Gleichartigkeit der Systeme extraterristischer Intelligenzen wird von Zukunftsforschern ebenfalls als wahrscheinlich vorausgesetzt, da die Entwicklung des Wasserstoffs zu organischem Leben und zur Intelligenz, basierend auf der Urknall-Theorie, überall gleich lange Zeit in Anspruch nehmen müsste, und fremde Kulturen aus diesem Grunde nicht viel weiter entwickelt sein können als wir (wenn sie auch aufgrund abweichender Umwelt-Bedingungen ein völlig anderes Aussehen aufweisen können).

 

Uns Erdbewohnern ist jedoch die Anpassung an die Luft als neues Umwelt-Medium vor mehreren hundert Millionen Jahren so gut gelungen, dass wir inzwischen das Wasser als feindliches, fast lebensbedrohliches Element empfinden, in dem wir uns tatsächlich auch nur noch für eine kurze Zeitspanne am Leben erhalten können.

 

In den Wäldern der Saurier herrschte damals in der Nacht Totenstille. Es gab weder Jäger noch Gejagte, so dass die Überlebenschancen gleichmäßig verteilt waren. Alle verharrten in der Kältestarre, bis der Sonnenaufgang Licht und Wärme brachte. Die Erdrotation zwang allen an Land existierenden Lebewesen ihren Rhythmus auf, da chemische Reaktionen unterhalb einer bestimmten Temperatur kaum noch stattfinden können.

 

Ob wir heute aus diesem Grunde nachts schlafen müssen, ist noch nicht erforscht. Eine biologische Notwendigkeit dazu scheint jedoch nicht zu bestehen, da alle Meeresbewohner keinen Schlaf benötigen. Nach Seitelberger führte der Zwang zur Anpassung bei einigen mausähnlichen Nagern zur Erfindung der Warmblütigkeit, die ihnen die Nacht erschloss und sie dadurch vor ihren übermächtigen Feinden, den Sauriern, schützte, die ausgesprochene Tagtiere waren.

 

Diese Nagetiere befanden sich jetzt in einer Welt der kaltblütigen Echsen im Vorteil, weil sie sich von der völlig passiven Unterwerfung an die Temperaturschwankungen der Umwelt befreit hatten. Durch irgend ein neues Enzym hatte ihr Organismus begonnen, überschüssige Energie zu produzieren, die den Körper über den Bedarf hinaus aufheizte. Damit erhoben sie sich über das Stadium der Molche und Eidechsen, die Nacht für Nacht in eine Kältestarre verfielen.

 

Die neue Art benötigte jetzt auch neue Einrichtungen zur Distanzmessung. Für diesen Zweck wurden die bereits existierenden Sinnesorgane des Hörens und des Geruchs ausgestattet. Die dazu gehörige nervöse Einrichtung war im ZNS lokalisiert. Das bedeutete einen Schritt der Enzephalisation von Funktionen, d.h. die Verlegung der Informationsverarbeitung aus der Peripherie in das Zentralnervensystem, wodurch dieses vergrößert wurde. Verschiedene Informationen konnten dadurch auf ein konstantes Objekt als Eigenschaftsträger bezogen werden, das im Raum und auch in der Zeit registriert wurde.

 

Durch die zunächst willkürliche, ungerichtete Mutation der Warmblütigkeit fuhr das Leben fort, sich von seiner Umwelt zu distanzieren. Es wurde weitgehend unabhängig von den Temperaturschwankungen. Neben der Tendenz zum Zusammenschluss der kleinsten funktionellen Einheiten zu einem neuen Phänomen auf der nächst höheren Entwicklungsstufe lässt sich auch die Tendenz einer zunehmenden Abgrenzung von der Umwelt konstatieren. Diese schrittweise Verselbständigung erforderte allerdings auch die Verfügbarkeit von potenten Sinnesorganen, deren Vorläufer bis zu den ersten Mehrzellern zurückzuverfolgen sind.

 

Als die Säugetiere vor fünfundsechzig Millionen Jahren wieder in Tagesnischen eindrangen, benötigten sie eine neue Evolution ihres Sehvermögens, dessen Zusammenarbeit mit dem Hör- und Riechsystem in neugebildeten Regionen der Großhirnrinde im Sinne einer Kortikalisation bereitgestellt wurde.

 

Heute ermöglichen ausgeklügelte Protein-Taxonomien der Biologen einen Vergleich von Eiweißen unterschiedlicher Arten von Lebewesen. Da der genetische Code universell ist, ergeben sich aus der jeweiligen Anordnung der Aminosäuren Hinweise auf Artverwandtschaften und historische Entwicklungsstufen, so dass ein Abstammungsbaum entwickelt werden konnte.

 

Danach entstanden vor dreißig Millionen Jahren aus einer gemeinsamen Gruppe von Vorfahren die Altweltaffen und die Neuweltaffen. Von den letzteren spalteten sich vor acht Millionen Jahren die Orang-Utans ab. Die nächste Differenzierung war eine Dreiteilung: Vor ca. drei Millionen Jahren entstanden Gorillas, Schimpansen und Menschen. Die Beschleunigung der Arten-Aufsplitterungen lässt erwarten, dass in absehbarer Zeit aus uns ein neues Lebewesen erwächst (Boschke).

 

Konsequenzen für die Gentechnologie

 

Das Überleben einer Art wird gesichert durch die verschwenderische Vielfalt, mit der die Evolution immer wieder ihre Entwürfe durchspielt. Die meisten Mutationen sind schon latent vorhanden, bevor sie das erste Mal sichtbar werden. Diese nicht aktivierten Teile der DNA dienen gleichsam als ein Experimentallabor für die Evolution. Sie können erst dann von der Selektion aussortiert werden, wenn sie sichtbar werden. Die Evolution benötigt solche "Fehler", um auf veränderte Umweltbedingungen reagieren zu können, ohne den Gesamtbestand zu gefährden.

 

Doch ist es ein Trugschluss, mit der künstlichen Auslese besonders "fitter" Lebewesen die Evolution beschleunigen zu wollen. Auch das Überleben weniger tüchtiger Spezies ist notwendig, um eine möglichst breite Vielfalt zu gewährleisten. Sonst droht genetische Verarmung und die Vernichtung ganzer Arten. Eine solche Gentechnologie erreicht genau das Gegenteil dessen, was sie erreichen will: Anstatt die Evolution zu beschleunigen, führt sie in eine Sackgasse, aus der es kein Entrinnen gibt (Lange).

 

Die Kernfrage der Gentechnik lautet: Sind wir schon in der Lage, Gott zu spielen? Können wir den evolutionären Prozess auf unserem Planeten in all seinen komplizierten Zusammenhängen erkennen und sogar steuern? Haben wir das Wissen, um auf die Selbstregulation natürlicher Prozesse verzichten zu können? Oder ist die genetische Vielfalt die beste Rückversicherung für das Leben künftiger Generationen? Im besten Fall liefern wir die nachfolgenden Generationen dem Diktat der Technik aus, die dann allein in der Lage sein wird, Störfälle in der DNA zu beheben.

 

Dennoch kann die Gentechnik in vielen Bereichen segensreich wirken: In der Produktion von Arzneimitteln und Impfstoffen, der Entwicklung neuartiger Diagnose- und Therapieverfahren oder in der Herstellung nahrhafter und schädlingsresistenter Pflanzen für die Landwirtschaft (Brandt).

 

Eine weitere Frage lautet: Ist natürliche Fortpflanzung in Zukunft noch erforderlich? Matthias Glaubrecht schreibt zu diesem Thema: Sexualität bedeutet Rekombination (Neuordnung) der Erbanlagen. Doch ist die geschlechtliche Fortpflanzung relativ neu auf der Erde. In den ersten drei Milliarden Jahren fand die Vermehrung ohne männlichen Anteil statt, und zwar durch einfache Zellteilung. Bei der identischen Reduplikation entstand aus einer Mutterzelle eine Tochterzelle mit der gleichen Erbinformation. Von Natur aus wird das Weibliche bevorzugt. Eva und nicht Adam war zuerst da.

 

Blaualgen vermehren sich heute noch durch Zellteilung. Dabei entstehen Klone, also genetisch identische Abkömmlinge. Bakterien unterscheiden schon zwischen Sexualität und Vermehrung. Diese Einzeller übertragen untereinander Teile ihrer Erbinformationen, indem sie einen Zellschlauch bilden, mit dem sie ihre Erbinformationen in eine andere Zelle einschleusen - als eine Art Datenautobahn.

 

Auch heute vermehren sich noch mehr als 1.000 Tierarten ungeschlechtlich, sogar bei Wirbeltieren können sich allein aus Eizellen neue Lebewesen entwickeln. Aus Weibchen entstehen wieder Weibchen, ganze Populationen pflanzen sich ohne Männchen fort. Der Vorteil liegt darin, dass sich diese Arten schneller vermehren können als andere, da sie weder Zeit noch Energie in die Entwicklung von Männchen investieren. Bei der geschlechtlichen Vermehrung wird eine Hälfte der Nachkommen dazu verschwendet, die andere zu befruchten (Glaubrecht).

 

Doch ist Jungfernzeugung auch für Menschen sinnvoll? Immerhin findet die sexuelle Fortpflanzung bei 90 Prozent aller Arten statt und überwiegt damit bei weitem auf der Erde. Dank der Verschmelzung männlicher und weiblicher Erbinformationen sorgt die geschlechtliche Vermehrung für eine schnellere Durchmischung des Erbgutes.

 

Dadurch ist der Organismus weniger anfällig für Krankheiten und besser gegen Viren und Parasiten geschützt. Diese Schmarotzer infizieren nämlich bevorzugt die ihnen bekannten Varianten. An veränderte Organismen müssen sie sich erst anpassen, indem sie ihr eigenes Erbgut entsprechend umstellen. Mit genetischer Vielfalt verändern die Wirte ständig den Code ihres Immunsystems und verringern dadurch die Ansteckungsgefahr durch Parasiten.

 

Euphorische Erwartungen an die Gentechnik beziehen sich auf ein verlängertes Leben oder sogar individuelle Unsterblichkeit. Doch ist der individuelle Tod geradezu die Bedingung für evolutionären Fortschritt. Die Gleichgültigkeit der Evolution gegenüber unserem Sterben erscheint uns unfassbar, da doch unser ethisches Gefühl die Besonderheit aller Individuen suggeriert. Hier liegt eine Dissonanz zwischen der Realität und unserer Auffassung von Realität.

 

Unsterblichkeit ist nur denkbar über den Weg, unsere bewusste Identität in die potentiell unsterblichen Gene zu verlagern. Aber wäre das sinnvoll oder wünschenswert? Es hieße, ein veraltetes "Modell" für alle Ewigkeit festzuschreiben, das völlig unflexibel und nicht in der Lage wäre, sich auf veränderte Umweltbedingungen einzustellen. Die Mängel würden sich im Laufe der Zeit summieren, ohne durch einen gnädigen Tod beendet zu werden. Fortschritt und Entwicklung sind nur um den Preis einer begrenzten Lebensdauer zu haben. Sie ermöglicht immer wieder einen Neuanfang.

 

Birgit Sonnek

 

März 2003

 

 

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